Einen Doktor der Physik in der Verteidigung

Dreier-, Viererkette oder flache Raute. Das sind Begriffe, mit denen die meisten Fußballer etwas anfangen können. Aber Halbleiterkristalle dürften in den Kabinen der Kicker weniger bekannt sein. Tobias Henksmeier kennt sich allerdings bestens damit aus. Unser Innenverteidiger hat kurz vor Weihnachten seine Doktorprüfung bestanden.

„Für mich ist das eigentlich keine große Sache, sondern Teil meiner universitären Ausbildung“, hält der 27-Jährige den Ball außerhalb des Feldes gerne flach. Dabei hat Henksmeier durchaus Grund stolz zu sein. Seine Forschungen und Experimente, die er im Department Physik der Universität Paderborn im Fachbereich Optoelektronische Materialien und Bauelemente bei Prof. Dr. Dirk Reuter durchführt, könnten in der Zukunft wichtig werden. „Einfach gesagt geht es darum, die Anzahl der Kristalldefekte in einer Halbleiterstruktur zu reduzieren und damit die Leistungsfähigkeit der Struktur zu erhöhen. Chips, Dioden oder LEDs werden auf Trägermaterialien, hergestellt. Diese Trägermaterialien habe oftmals ganz andere Materialeigenschaften als die Schichtstrukturen, die darauf aufgebracht werden. Das führt zu einer Verspannung der Schicht die meistens plastisch, durch das Einführen von Kristalldefekten in die Schicht, abgebaut wird und bremst die Leitungsfähigkeit aus. Ziel meiner Arbeit war es, eine Möglichkeit zu entwickeln, die Schicht vom Substrat so zu trennen, dass die Verspannung in der Schicht abgebaut werden kann, ohne Defekte auszubilden aber die Schicht dennoch die Struktur des Trägermaterials übernimmt“, erklärt Henksmeier. Angewendet werden könnte die Methode in ferner Zukunft dann beispielsweise bei der Herstellung von modernen Halbleiterbauelementen „Bis es so weit ist gehen noch viele Jahre ins Land. Ich habe Grundlagenforschung betrieben, viel experimentiert und analysiert. Das ist noch lange nicht industriereif. Mit meiner Doktorarbeit habe ich gezeigt, dass es prinzipiell möglich ist. Wir sind dabei, die Ergebnisse in Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Darauf können weitere Forschungen aufbauen“, sagt Henksmeier. Ob er diese Forschungen selbst weiter betreiben wird, oder nachfolgende Doktoranden weiß der frischgebackene Doctor rerum naturalium, wie es im lateinischen heißt, noch nicht: „Mein Arbeitsvertrag als Wissenschaftlicher Mitarbeiter mit der Universität Paderborn läuft bis Ende April 2022. Ich mag die universitäre Forschung, aber dort werden eben meist Zeitverträge vergeben, was wenig Planungssicherheit bietet.“ Henksmeier möchte die nächsten Monate nutzen, um sich beruflich zu orientieren. Die Zeiten für einen Wechsel in die freie Wirtschaft sind derzeit gut. Chiphersteller, Halbleiterproduzenten und Softwareentwickler in dem Bereich auch aus der Region suchen händeringend nach Physikern mit den entsprechenden Kenntnissen. Beachtlich ist, dass Henksmeiers Arbeiten an der Promotion keinerlei Einfluss auf seine sportlichen Leistungen hatten. Auch in dieser Saison gehört der lange Innenverteidiger zu den unumstrittenen Stammspielern im Kader der Ersten. In 15 der bis zu seiner Doktorprüfung 16 Spiele kam er zum Einsatz. Fast immer über die volle Distanz. „Da der Sonntag wegen der Spiele immer wegfällt, ist Zeitmanagement nötig. Ich musste aber nie die Bücher mit auf eine Auswärtsfahrt nehmen. Es macht mir Spaß, daher ist auch mal die eine oder andere Abendschicht kein Problem. Ich war ansonsten regelmäßig beim Training. Das habe ich gut unter einen Hut bekommen“, sagt Henksmeier. Seine Teamkollegen wissen bereits von seiner erfolgreichen Promotion. Einen neuen Spitznamen haben sie ihm noch nicht verpasst. Henksmeier wird weiterhin „Mieze“ gerufen, was ihm ganz recht ist: „Ich hänge das nicht an die große Glocke, weil ich jetzt nicht besser bin als irgendjemand sonst aus dem Team und ich gehe auch nicht anders in die Kabine oder auf den Platz. Das ist ein Titel, aber ich muss jetzt erst mal gucken, was ich beruflich daraus mache. Ich glaube für die ältere Generation, meine Oma, hat der Doktor mehr Bedeutung als für mich. Sie freut sich riesig, weil ich der Erste aus der Familie mit Promotion bin. Für mich ist es schön, dass es geklappt hat, das war das Ziel. Jetzt orientiere ich mich und gucke, wie ich beruflich weitermache.“ Henksmeier wird auf der einen oder anderen Auswärtsfahrt mit dem DSC in den nächsten Wochen genug Zeit haben, darüber nachzudenken.