"Torhüter sind die komplettesten Spieler auf dem Platz"

 

Er muss es wissen. Unser Torwarttrainer Leszek Jaskiewicz macht seit fast 30 Jahren unsere „Fänger“ zwischen den Pfosten fit. Wie und wie sich das Torwartspiel verändert hat, erzählt er im Interview.

DSC-INSIDE: „Leszek, du bist erst 50, aber schon seit 30 Jahren bei uns als Torwarttrainer. Wie kam es dazu?“

Leszek Jaskiewiecz: „Ich habe in Polen in der höchsten Jugendliga gespielt und mit 17 mein Debüt in der dritten Liga gegeben. Mit 19 sollte ich dann zum damaligen TuS Paderborn-Neuhaus wechseln. Da man dort die Ablösesumme umgehen wollte, wurde ich in Delbrück zwischengeparkt. Die Unterlagen gingen dann aber doch offiziell an den polnischen Verband und ich wurde für ein Jahr gesperrt.“

INSIDE: „Und dann?“

Jaskiewicz: „Ich habe trainiert, hier in der Region einen Job bekommen und mit 20 angefangen, den Nachwuchs zu trainieren. Ich hatte Zeit und war zu der Phase auf mich alleine gestellt. Ganz 30 Jahre sind es auch nicht beim DSC, weil ich zwischendurch mal für vier Jahre bei der DJK Mastbruch gespielt habe. Danach ging es aber zum DSC zurück. Mit 26 wollte ich aber nicht mehr ins Tor und bin in der zweiten und dritten Mannschaft als Stürmer ins Feld gegangen. Es war auch mal nett, vorne stehen zu können, Tore zu machen und nicht immer hinten der Depp zu sein (lacht). Dazu habe ich die C-Jugend trainiert, bin mit ihr in die Bezirksliga aufgestiegen und später mit der A-Jugend in die Landesliga hoch. Daniel Mehlich und Matthias Riemer aus dem Kader der Ersten gehörten damals dazu. Ich war auch 13 Jahre lang Platzwart auf dem Laumeskamp und habe das hier insgesamt schon gut durchgezogen und den einen oder anderen Kommen und Gehen sehen. Dadurch sind viele sehr gute Kontakte zustande gekommen. Ich blättere jeden Montag die Zeitungen durch und gucke, was meine ehemaligen Torwartschüler am Wochenende gemacht haben (lacht).“

INSIDE: „Du hast bei Dennis Eilhoff den Grundstein zu einer Karriere als Bundesligatorhüter gelegt.“

Jaskiewicz: „Ja, das macht mich auch stolz. Dennis hat später bei Arminia Bielefeld, Koblenz und Dynamo Dresden gespielt. Dazu war er U-Nationaltorwart. Auch unter Roger Schmidt war ich hier Torwarttrainer. Michael Joswig habe ich ebenso trainiert, wie unseren Vorsitzenden Elmar Westermeyer. Es hat mir schon sehr früh Spaß gemacht, die gute Ausbildung, welche ich in Polen genossen habe, an junge Leute weiterzugeben. So ist es bis heute geblieben. Aktuell trainiere ich die Torhüter von den Senioren bis zur C-Jugend. Da man eigentlich ab der D-Jugend anfangen sollte, hat Kevin Hund aus der Ersten diese Jahrgänge übernommen. Das ist gut.“

INSIDE: „Wie muss man sich ein Torwarttraining unter deiner Leitung vorstellen?“

Jaskiewicz: „Vor der Saison geben wir uns eine Richtung vor. Pro Spiel möchten wir höchstens ein Tor kassieren. Rechnet man den Durchschnitt hoch, dann ist das ein guter Wert über die Saison gesehen. Es ist wichtig, sich Ziele zu setzen. Ansonsten machen wir einmal in der Woche eine 90-minütige Einheit, zu den normalen Trainingseinheiten. Da der Torwart mittlerweile aber der kompletteste Spieler auf dem Feld sein muss, reicht das alleine nicht aus. Die Torhüter müssen viel Initiative und den Willen mitbringen, eigenständig an sich zu arbeiten.“

INSIDE: „Was meinst du mit, der Torwart ist der kompletteste Spieler auf dem Feld?“

Jaskiewicz: „Früher war es doch so, dass der im Tor stand, der am schlechtesten mit dem Ball umgehen konnte und langsam war. Das war zu meiner Zeit schon etwas anders (lacht). Spaß beiseite. Ich habe noch eine alte Kassette, mit Spielen von mir. Damals durften die Torhüter nur drei Schritte im Strafraum laufen und musste den Ball nach vier Sekunden wieder los sein. Meistens wurde er dann nach vorne gedroschen, weil so schnell kein Mitspieler freistand. In einem Spiel mache ich das in zehn Minuten 15 Mal. Das ist heutzutage undenkbar. Ein guter Torhüter ist der fertigste Spieler auf dem Platz. Er muss hinten immer anspielbar sein, den Ball also verarbeiten und sauber weiterleiten können. Dafür muss er aber das Spielgeschehen als eine Art Ersatzlibero vorausahnen, damit die Spieleröffnung schnell geht. Er muss den Ball vom Boden und aus der Hand gezielt passen können. Er muss schnell und fit sein. Wenn ich heute Nachwuchstrainern raten soll, wen sie in der D-Jugend ins Tor stellen, dann sage ich, nehmt den fittesten, schnellsten, technisch stärksten, beweglichsten und den, der hoch springen kann. Wenn dann noch der Kopf mitmacht, kann etwas daraus werden.“  

INSIDE: „Wie wichtig ist der Kopf für den Torwart?“

Jaskiewicz: „Der Kopf entscheidet, ob ein Torwart trotz allen Talents für höhere Aufgaben in Frage kommt, oder nicht. Torwartspiel braucht Grundlagen, die müssen komplett automatisiert ablaufen, immer wiederholt und auch eigenständig trainiert werden. Das dauert sehr lange, aber ich mache das immer zuerst, weil es nichts bringt, Dinge aufzusetzen, wenn die Grundlagen nicht da sind. Ich hatte schon genug Nachwuchstorhüter, die alles mitgebracht haben. Talent, Körpergröße, die wollten sich aber nicht quälen und an sich arbeiten. Anders geht es aber nicht, wenn der Anspruch da ist, mal höher spielen zu wollen. Torwarttraining sind 70 Prozent Arbeit und 30 Prozent Wille und Intelligenz. Ich merke nach etwa vier Einheiten, ob jemand ehrgeizig und vom Kopf her bereit ist. Ich habe keine Probleme damit, wenn es jemand nicht ist und trainiere diese Jungs genauso, aber der Kopf macht eben den Unterschied. Gerade die Nachwuchstorhüter müssen von sich aus ein Interesse an Technik und Fitness mitbringen.“

 

INSIDE: „Torhüter und Linksaußen sind die verrücktesten Spieler auf dem Platz.“

Jaskiewich: „Naja, wenn man sich das aber auch mal anschaut. Wir fliegen im Training über eine Stange, die etwa einen Meter über den Boden hängt, müssen uns dann schnell aufrappeln, um den Nachschuss aus der Nahdistanz auch noch zu parieren. Das machen wir sechs oder sieben Mal hintereinander. Das meine ich mit den Grundlagen. Jeder Torwart muss einfach die Techniken des Fallens beherrschen und immer wieder üben. Kann er diese Techniken nicht, kommt er nicht schnell genug wieder hoch oder fällt so unglücklich, dass ihm danach noch tagelang die Knochen und Muskeln weh tun. Das darf aber nicht passieren, meistens steht am nächsten Tag schon wieder Training an, oder das nächste Spiel. Es gibt wenige Torhüter, die so gut sind, dass sie technische Fehler kompensieren können. Michael Joswig war so einer. Er hatte technische Fehler in den Grundlagen, war aber so schnell, dass er es kaschieren konnte, wenn er nicht gut gefallen war. Heutzutage geht das so aber eigentlich nicht mehr. Wer heutzutage nicht so fällt, dass er schnell wieder oben ist, hat verloren. Das gilt für beide Körperseiten. Ohne Fitness und tägliche Gymnastik für die Beweglichkeit und das Körpergefühl oder die Koordination der einzelnen Gliedmaßen geht das nicht. Ich meine damit nicht die Muckibude. Wenn ich Jugendliche sehe, die bei gestreckten Beinen nicht mit den Fingern an den Boden kommen oder keine zehn Liegestützen schaffen, dann helfen die Hanteln auch nicht. Das ist dann Rentnerfußball (lacht).“

 

INSIDE: „Wie stark muss der Charakter eines Torwarts sein?“

Jaskiewicz: „Stark. Ein Feldspieler macht pro Partie sicher vier bis fünf Fehler. Pässe, die nicht ankommen, Bälle die verspringen und so weiter. Das fällt in der Gesamtbetrachtung der Partie kaum auf. Ein Torwart macht einen Fehler, der Ball landet im Tor und das Team verliert 0:1. Der Fehler war die Knackpunktszene. Das ist einfach so, selbst wenn der Torwart nach dem Fehler noch zweimal super gehalten hat. Er hat das Spiel verloren. Man muss charakterlich stark sein, um auch nach solch einem Fehler weiterzumachen, die Partie sauber zu Ende zu spielen und sich dann im Training wieder reinzuhauen.“

INSIDE: „Wie eng ziehen dich die Trainer unseres Westfalenligakaders in die Absprachen mit ein?“

Jaskiewicz: „Sie treffen die letzte Entscheidung, weil sie beide Torhüter mehrfach in der Woche sehen. Ich sehe sie nur beim Heimspiel und in der einen Trainingseinheit. Trotzdem reden wir darüber und diskutieren die aktuelle Form. Wir waren im Sommer einer Meinung, als Daniel Mehlich die Nase vorn hatte. Jetzt genauso beim Wechsel im Winter von Daniel zu Kevin Hund. Beide sind gute Torhüter, bei denen es um Details geht. Der Kopf ist gerade etwas freier, er macht insgesamt den etwas besseren Gesamteindruck und so weiter. Für den dann zweiten Torwart ist das eine richtig schwere Situation. Auch da kommt es wieder auf den Charakter an.“

INSIDE: „Wieso?“

Jaskiewicz: „Ein Torwart ist nur stark, wenn er spielt. Sitzt er draußen, leidet seine Form immer. Er muss nun versuchen, dass dies nicht allzu sehr passiert und immer dranbleiben. Aber grundsätzlich ist es so, dass ein Trainer einem Torwart erst einmal ein paar Wochen das Vertrauen geben muss. Da ist ein Torwart sensibel. Ein Spieler weiß immer, dass er jederzeit für ein paar Minuten auf das Feld kommen kann und dann die Chance bekommt, sich zu beweisen. Wenn ein Torwart Ersatz ist, dann ist er erst einmal für Wochen oder Monate raus. Wichtig ist, dass er dann den Konkurrenzdruck hochhält, sonst wird irgendwann auch der erste Torwart schwächer, wenn bei ihm nicht die Mentalität stimmt und er glaubt, dass er ohnehin immer im Tor bleiben wird. Das ist alles sehr komplex.“

INSIDE: „Sprichst du direkt nach dem Spiel mit den Torhütern?“

Jaskiewicz: „Nein. Da sind sie eh nicht aufnahmefähig. Besonders nicht, wenn es Kritik gibt. Das machen wir dann beim Training. Ich merke dort auch, wie ein Torwart drauf ist und versuche ihm dann Tipps zu geben, vielleicht nicht so viel Risiko zu gehen, sich auf die Grundlagen zu konzentrieren. Klappt das Training nicht, wird auch das Spiel schwer. Während der 90 Minuten ist es dann nicht relevant, ob ich am Rand stehe, oder nicht. Der Torwart weiß, was er zu tun hat, das ist schon vor der Saison klar mit dem Trainerteam abgesprochen und so trainiert. Auf dem Feld muss der Torwart dann selbst entscheiden, ob er nun abwirft oder mit dem Fuß abschlägt. Das sind dann individuelle Entscheidungen, die wir beim nächsten Training diskutieren können, aber die für den Moment richtig sind, weil der Torwart die Situation so eingeschätzt hat.“

 

INSIDE: „Bist du auch in 30 Jahren noch Torwarttrainer?“

Jaskiewicz: „Keine Ahnung (lacht). Ich habe durch den Fußball sehr viel zurückbekommen, kenne mittlerweile sehr viele Spieler, Trainer, Betreuer, Eltern. Die Zeit, die ich hier war und arbeite, hat mir extrem viel gebracht. Das ist alles sehr positiv. Ich kann jedem nur raten, in einen Verein zu gehen. Deswegen bleibe ich auch gerne hier. Es passt hier alles und macht Spaß. Ich will nichts daran ändern.“